Schattenhaft stehen sie im Raum eines Zimmers. Es liegt an der Rückseite ihres Hauses. Es ist ihr Schlafzimmer und statt zu schlafen, sehen sie mit Armen vor der Brust verschränkt einem außergewöhnlichen Schauspiel zu. Ich sehe auch zu. Der Türschlitz lässt mir einen Blick auf das Schauspiel, das eigentlich gar keins ist und die Schattenfiguren sind meine Eltern.
Die Wand ist durchsichtig geworden und gibt den Blick auf das dahinter frei. Da, wo sonst ein gepflegter Garten ist, ist nur noch Chaos, düster und unübersichtlich. Es sieht aus, was wäre eine Bombe auf das Grundstück gefallen. Nichts ist mehr so, wie es war. Das Hinterland ist farblos und sieht bedrohlich aus. Ich fürchte mich, doch bleibe ich erstarrt vor der Wand aus Glas genau so stehen, wie meine Eltern. Doch dann rührt sich mein Vater - er will der Sache auf den Grund gehen. Er war schon immer ein Mann der Tat und will in das Nebengebäude gehen. Es ist längst an unserem Wohnhaus anbaut und er könnte es betreten, ohne das Haus zu verlassen. Doch er entscheidet sich, das Nebengebäude - er alter Stall - von außen zu betreten.
Als er davor steht - ich sehe alles mit seinen Augen - findet er statt des großen schweren Holztür zum Stall eine Falltür, die vorher nicht da war. Sie hat die selbe Form und Größe der alten Tür, nur liegt sie jetzt am Boden. Leicht angelegt am Gemäuer, so dass sie etwas schräge zwischen Boden und Wand liegt.
Mein Vater steht unentschlossen vor der Luke der Falltür. Er hält einen Flügel offen und schaut in die Tiefe. Nichts, außer Dunkelheit und Unbehagen ist zu erkennen. Ich beobachte weiter mit seinen Augen das Geschehen, erlebe seine Unentschlossenheit, ob er einsteigen oder es besser lassen sollte. Es gibt Bewegung im Unteren Teil des Hauses, doch die geöffnete Lukentür gibt nur einen kleinen Einblick in den unteren Bereich unseres Hauses.
Dann bricht der Kontakt zu meinen Vater ab, ich kann nicht mehr mit seinen Augen sehen und nicht mehr verfolgen, ob der unser Haus von der Falltür aus betritt. Spannung baut sich in mir auf. Was geschieht jetzt? Eine Bodenwelle reißt mich aus meinen fragenden Gedanken. Die Bodenwelle läßt alles erschüttern. Ich vergesse meine Frage und auch meinen Vater. Mit der Bodenwelle erfasst mich ein Schauern, das sich von den Fußsohlen bis zum Kopf meinen Körper nach oben steigt. Ich fühle mich, als hätte jemand meinen Körper mit Brausepulver überzogen und von Fuß bis Kopf mit Wasser übergossen. Am Ende prickelt mein Körper wie eine frisch aufgegossene Brause und macht mich wach.
Ich hab geträumt und muss mir das Prickeln von Körper abschütteln um den Schauer los zu werden. Dann schlafe ich wieder ein und kehre sofort wieder an den Ort meine Kindheit zurück.
Im Wohnzimmer liegen meine Eltern auf der Couch und halten sich bedeckt. Ich bin erleichtert, den mein Vater ist auch wieder da, doch der Kontakt zu ihn ist immer noch unterbrochen. Ich kann nicht mehr mit seinen Augen sehen. Damit dies auch so bleibt, deckt er eine Decke über seinen Körper. Auch meine Mutter zieht sich auf diese Weise von mir zurück. Beide liegen sie jetzt fast reglos auf der Couch und halten die Decke über ihre Köpfe. Das Licht in Zimmer ist ungemütlich und schaurig. Man kann sagen, es ist weder dunkel, noch hell, noch Dämmerlicht. Es ist ein Licht nach einer Zerstörung, energielos und tot.
Damit sich das ändert, fasse ich mir ein Herz und schaue im Schlafzimmer nach und folge den Spuren meines Vaters. Im Raum hat sich nichts verändert. Noch immer zeigt die gläserne Wand zum Garten ein düsteres Bild der Verwüstung. Auch hier nur energieloses totes Licht. Die Kraft des Lichtes reicht nur, um die Zerstörung sehen zu lassen. Im Raum ist etwas, was ich nicht sehen kann. Ich weiß, es beobachtet mich, folgt meinen Bewegungen. Doch ich will der Sache auf den Grund gehen, will wissen, wer unseren Frieden so sehr gestört hat, das nichts mehr so ist, wie es war, dass sogar meine Eltern ihren Blickkontakt zu mir abgebrochen haben.
Mit den Mut der Verzweiflung durchsuche ich den Raum - der ja das Schlafzimmer meiner Eltern ist - nach dem Eindringling ab und stöbere mit innerer Spannung in jeder Ecke nach, die sich aus Abstand nicht einsehen lässt. Dabei schrecke ich ein menschenähnliches Wesen auf. Körperlich reicht es nur bis zu meinen Knien und ich muss zu ihm runterschauen "Verschwinde hier" fordre ich dieses Wesen hysterisch auf. Doch das springt nur vor meinen Beinen und freut sich über meine Aufregung. "Verschwinde" mehr bringe ich nicht über die Lippen. Es ist wie ein Spiel - ich schreie und es springt vor meinen Füßen. Sein plattes geformtes Gesicht schaut mich ausdruckslos an. Am Körper hat es weder ein Fell noch sonst irgendwelche Kleidungstücke. Es ist nackt und die Haut sieht fade aus. Der Treibjagd hält noch eine Weile an, bis das Wesen verschwunden ist. Ich weiß nicht wie - ob es gegangen oder sich in Luft aufgelöst hat - es ist einfach verschwunden.
Ich hab es geschafft. Ich hab den Unhold aus dem Haus vertrieben und mein altes Leben wieder zurück. Das Licht im Haus verändert sich. Es hat die alte Energie, die alte Ausstrahlung wie vor dem Chaos. Ich fühle mich wieder zu Haus. ich fühle mich wohl und friedlich und gehe vor die Tür. Draußen empfängt mich das frische Grün des Frühlings und die frische Frühlingsbrise vertreibt den letzten trüben Gedanken an die Chaosnacht. Das Dorfleben nimmt weiter Gestalt an. Keine Menschen, nur Tiere springen im Grünen herum. Alles kleine Welpen - possierlich und niedlich. Ich schaue ihrem Spiel zu. möchte meine Hände und Arme im Spiel der Welpen baden. Ich halte meine Arme zum Spiel hin und warte darauf, dass sie an meinen Händen nagen.
Plötzlich verändert sich das Aussehen eines Welpen und ich erkenne für einen Moment das Wesen in der Hülle des Welpen. Ich will es fangen, damit es nicht wieder Chaos in mein Leben anrichten kann. Ich bin breit, die höchste Gewalt anzuwenden, wenn ich es fange - ich will es erschlagen. So als hätte es meinen Gedanken erraten, verwandelt sich das Wesen wieder in den Welpen zurück und taucht wieder in die Massen an. Klein, niedlich und possierlich spielt es mit den anderen Welpen. Ich verliere die Übersicht zwischen den Tieren - weiß nicht mehr - wer ist. Einfach drauf schlagen kann ich nicht, ohne vielleicht einen unschuldigen Welpen zu verletzen.
Doch das Wesen gibt mir noch einmal einen Blick auf sein tatsächliches Aussehen. Ich bin auf dem Sprung und bereit, ihm eins über zu ziehen. Doch bevor ich es erreiche, verändert es schon wieder sein Aussehen und verwandelt sich zu einem Kleinkind, das mit dem Welpen spielt.
Damit erreicht das Wesen meine Hemmschwelle.
Ich kann nicht auf ein Kleinkind - egal wer in der Hülle steckt - schlagen.
Das Wesen hat sich ein neues Spiel für mich ausgedacht - es kennt meine Hemmschwelle und dahinter ist es sich. Es weiß, ich werde diese Schwelle nicht übertreten.
Oder doch?
Doch welches Chaos muss es in meinem Leben anrichten, damit ich meine Hemmschwelle übertrete?
22 August 2007
Traumnacht
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